Saisonrückblick Frauenbundesliga 2014/15

2000_Bild1Mannschaftsfoto vor der letzten Runde, von links: Mario Meinel, Deimante Daulyte, Petra Papp, Karina Ambartsumova, Jana Zpevakova, Irina Bulmaga, Alina Kashlinskaya, Ekaterina Atalik, Gregor Krenedics

Als einer der besten Aufsteiger aller Zeiten wurde die Schwäbisch Haller Damenmannschaft gleich deutscher Vizemeister, geschlagen nur vom hohen Favoriten Baden Baden. Unter anderem gelang es, den Vorjahresmeister Bad Königshofen durch einen Sieg im direkten Duell in der letzten Runde hinter sich zu lassen.

Gegenüber der Aufstiegssaison blieb der Kern der Mannschaft zusammen. Trotzdem stießen einige Spielerinnen neu zur Mannschaft, da einige Spielerinnen aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung standen. Neu zur Mannschaft kamen die in Bordeaux lebende Litauerin Deimante Daulyte, Freundin von Matthieu Cornette aus der Herrenmannschaft, und die Rumänin Irina Bulmaga sowie Ekaterina Atalik aus der Türkei, aus Russland stammende Ehefrau des ersten und immer noch besten türkischen Großmeisters, und Arlette van Weersel, Hochschuldozentin aus den Niederlanden, die vom Präsidenten höchstpersönlich beim Turnier in Wijk-aan-Zee verpflichtet wurde.
Damit bildeten 14 Spielerinnen aus 12 Nationen die Haller Damenmannschaft, ein besseres Beispiel für gelebte Integration und Völkerverständigung kann es gerade in heutigen Zeiten nicht geben. Der große Erfolg der Mannschaft wurde nämlich besonders durch den großen Zusammenhalt zwischen den Spielerinnen erst möglich gemacht. Dazu trug auch bei, dass gerade in Schwäbisch Hall die Spielerinnen meist privat untergebracht wurden und häufig auch noch den ein oder anderen Folgetag in der Kocherstadt verbrachten.

Bild2Ein ganz besonderer Gast beim Schulschach: Nino Batsiashvili ist georgische Meisterin, amtierende Teamweltmeisterin und Vizeeuropameisterin

Im Laufe der Saison achtete die Mannschaftsführung auch darauf, dass alle Spielerinnen zum Einsatz kamen, und trotz der vielfach engen Terminkalender und kurzfristigen Turnieransetzungen durch den Weltschachverband FIDE (zum Beispiel die Frauenweltmeisterschaft im Frühjahr 2015 wurde mehrfach verschoben) gelang das auch.
Schon der Saisonstart war erfolgreich. Zum ersten Bundesligaheimspiel der Haller Schachgeschichte traten im September 2014 in den Haller Stadtwerken der Traditionsverein Hamburger SK und der SK Lehrte an. Als einer von wenigen Vereinen bot Schwäbisch Hall eine Liveübertragung der Partien ins Internet an, außerdem wurden die Partien vor Ort von FM Harald Keilhack kommentiert. Gegen starke Hamburgerinnen mit den deutschen Nationalspielerinnen Marta Michna und Judith Fuchs sowie der Polin Monika Socko und als Joker der Studentenweltmeisterin Diana Baciu gab es einen in der Höhe überraschenden 4:2 Sieg. Besonders Iva Videnovas Schwarzsieg gegen Judith Fuchs aus einer vorbereiteten Variante im sizilianischen Drachen beeindruckte:

[Event “FBL 1”]
[Site “Deutschland”]
[Date “2014.09.27”]
[Round “1.3”]
[White “Fuchs, Judith”]
[Black “Videnova, Iva”]
[Result “0-1”]
[ECO “B78”]
[WhiteElo “2289”]
[BlackElo “2337”]
[PlyCount “60”]
[EventDate “2014.09.27”]
[EventType “team-tourn”]
[EventCountry “GER”]
[WhiteTeam “Hamburger SK von 1830”]
[BlackTeam “Schwaebisch Hall SK”]
[WhiteTeamCountry “GER”]
[BlackTeamCountry “GER”]

1. e4 c5 2. Nf3 d6 3. d4 cxd4 4. Nxd4 Nf6 5. Nc3 g6 6. Be3 Bg7 7. f3 Nc6 8. Qd2
O-O 9. Bc4 Bd7 10. O-O-O Rb8 11. h4 Na5 12. Bb3 b5 13. Bh6 Bxh6 14. Qxh6 e5 15.
Nde2 b4 16. Nd5 Nxb3+ 17. axb3 Nxd5 18. Rxd5 Rb6 19. h5 $2 {besser f4, das
sieht gefährlich aus, aber es folgt:} g5 $1 {und die weiße Dame ist vom
Geschehen abgeschnitten.} 20. f4 Bg4 21. Kd2 {Der König begibt sich ins Freie,
um den Springer zu decken.} f6 22. Rf1 Bxe2 23. Kxe2 exf4 24. Ra1 Qe7 25. Kd3
Rc6 26. g3 fxg3 27. Rg1 Rxc2 $1 28. Rxg3 {Der Turm kann nicht genommen werden,
da der zweite Turm und die Dame den König in wenigen Zügen “erlegen”. Die
Partie ist jetzt natürlich für Schwarz gewonnen.} Rc5 29. Re3 Qe6 30. Kd4 Re8
0-1

 

IMG_1147_kompJudith und Iva vor ihrer Partie

Am folgenden Tag gab es noch einen klaren Sieg gegen Abstiegskandidat Lehrte.

Bild2aDer Zusammenhalt der Haller Mannschaft zeigt sich in diesem Bild: alle Spielerinnen analysieren gemeinsam die Partie von Jana Zpevakova, der einzigen Amateurspielerin am Start (Bild: Chessbase).

In der zweiten Doppelrunde wurden wieder zwei Siege eingefahren, zum 1. Advent trat man in Halle gegen die Gastgeberinnen und den SK Großlehna an. Während es gegen den Vorjahresdritten Halle einen relativ sicheren 4:2 Sieg gab, wurde es gegen Großlehna eng: die Gegnerinnen rührten nach Aussage von Kapitän Mario Meinel Beton an, Arlette van Weersel sicherte bei 5 Remispartien den knappen Sieg.
Damit war man immer noch gleichauf mit dem hohen Meisterschaftsfavoriten aus Baden Baden, der gegen den großen Rivalen der letzten Jahre aus Bad Königshofen schon in der ersten Runde knapp gewonnen hatte.

IMG_1426Auch bei der Weihnachtsfeier wurde Schach gespielt

Kurz vor Weihnachten wurde das Duell gegen Reisepartner Friedberg ebenfalls mit 4:2 gewonnen. Schnelle Weißsiege von Nino Batsiashvili und Irina Bulmaga mit humorlosem Königsangriff stellten die Weichen früh auf Sieg, auf den bei der sich anschließenden Weihnachtsfeier im Restaurant Finale des Haller Tennisclubs gebührend angestoßen wurde.
Im Januar kam es in Friedberg dann zum Showdown gegen Baden Baden. Leider war der Zuschauerzuspruch nicht so hoch, da die Friedbergerinnen in einen Vorort ausweichen mussten und die Wetterbedingungen recht winterlich waren. Baden Baden bot die stärkste Mannschaft auf, es traten unter anderem die Muzychuk-Schwestern an – Maria ist ja seit wenigen Monaten amtierende Schachweltmeisterin, dazu kamen die Litauerin Viktorija Cmilyte, die Topscorerin Eva Moser aus Österreich und die erfahrene deutsche Nationalspielerin Ketino Kachiani-Gersinska. Schwäbisch Hall hielt mit annähernder Bestbesetzung dagegen, leider stand Ekaterina Atalik kurzfristig wegen Differenzen mit dem türkischen Verband nicht zur Verfügung. Nach spannendem Verlauf behielt Baden Baden mit 4:2 die Oberhand und schaffte eine Vorentscheidung in der Meisterschaft. Am nächsten Tag hielten die Hallerinnen sich an Deizisau schadlos: es gab ein glattes 6:0, obwohl die Deisziauer Mannschaft auch nicht schlecht besetzt war: am Spitzenbrett spielte immerhin die aktuelle deutsche Meisterin Zoya Schleining.
In der vorletzten Doppelrunde gab es dann bei den Tabellenschlusslichtern aus Leipzig zwei glatte Siege. In der letzten Doppelrunde ging es jetzt noch um die deutsche Vizemeisterschaft.
Zur letzten Doppelrunde der Frauenbundesliga in Friedberg traten Gastgeber Friedberg und Reisepartner Schwäbisch Hall gegen die Rodewischer Schachmiezen und Vorjahresmeister Bad Königshofen an. Während es für Friedberg und Rodewisch nur noch um die Plätze ging, kämpften Aufsteiger Schwäbisch Hall und Bad Königshofen noch um die Vizemeisterschaft.
Am Samstag traten beide zunächst im Fernduell gegen Friedberg bzw. Rodewisch an. Rodewisch und Friedberg konnten beide nur zu fünft antreten. Smaranda Padurariu kam nur wenige Minuten nach der Karenzzeit in Friedberg an, nachdem ihr Zug aus den Niederlanden ausgefallen war und sie mit dem Auto abgeholt wurde. Davon profitierte Maria Schöne, die damit allerdings auch eine mögliche WGM-Norm verpasste, da sie nicht mehr auf 9 gewertete Partien kommen konnte. Bei Rodewisch fehlte Anna Rudolf, die ihren Flug aus Madrid verpasst hatte. Dadurch kam Irina Bulmaga für Schwäbisch Hall zu einem kampflosen Punkt.
Am Brett zeigten die restlichen Rodewischer Schachmiezen, deren Vereinsmotto ist: „mit Freunden zärtlich Schnurren“ von Anfang an eher ein energisches Fauchen. Schon nach 2 Stunden sorgte Martina Korenova durch ihren Sieg gegen Deimante Daulyte nach nur 18 Zügen für den Ausgleich. Ekaterina Atalik brachte nach Remispartien an Brett 5 und 6 Schwäbisch Hall wieder in Führung. In der letzten Partie zwischen den beiden Russinnen Alina Kashlinskaya und Anastasia Bodnaruk am Spitzenbrett überzog Alina in ihren Gewinnbemühungen die Partie und verlor am Ende noch zum 3-3 Endstand.

2000_Bild5Auch die gemeinsame Analyse gehört dazu, eine Gewinnvariante für Karina in der Partie gegen Claudia Steinbacher konnte aber nicht gefunden werden

Die Bad Königshofenerinnen kamen in der Parallelbegegnung gegen 5 Friedbergerinnen auch nicht über ein 3-3 hinaus. Herausragend dabei die Friedberger Spitzenbretter: Melanie Ohme hielt mit Schwarz ein Remis gegen die starke Ungarin Thanh Trang Hoang, und Elena Levushkina besiegte die deutsche Nummer 1 Elisabeth Pähtz. Für den verdienten Ausgleich sorgte am Ende Alisa Frey an Brett 6 gegen Jana Schneider.
In der letzten Runde kam es damit zum Showdown zwischen Schwäbisch Hall und Bad Königshofen um Platz 2 in der Abschlusstabelle. Schwäbisch Hall musste gewinnen, um Vizemeister zu werden, da Bad Königshofen um die Winzigkeit eines halben Brettpunkts vorne lag.
Schwäbisch Hall verstärkte die Mannschaft an Brett 6 mit der Ungarin Petra Papp anstelle von Jana Zpevakova. Damit war an den vorderen Brettern Bad Königshofen favorisiert, an den hinteren Brettern Schwäbisch Hall.

2000_Bild4Vor der Begegnung gegen Deizisau

Als erstes endete die Partie von Karina Ambartsumova gegen Julia Gromova kurz vor der Zeitkontrolle remis, Karina blieb damit in allen 11 Saisonpartien ungeschlagen. Petra Papp brachte die Kocherstädterinnen in Führung, Irina Bulmaga baute die Führung aus. Es gelang ihr, Maria Schöne, die bisher alle Partien gewonnen hatte, die einzige Saisonniederlage beizubringen. Bad Königshofen verkürzte noch einmal durch Elisabeth Pähtz. Für den Mannschaftssieg sorgte Deimante Daulyte, die gegen Anastasia Savina gewann. Auch für Anastasia Savina war es die einzige Saisonniederlage. Am Spitzenbrett wehrte sich Alina Kashlinskaya noch lange gegen die drohende Niederlage gegen Thanh Trang Hoang, konnte diese aber am Ende nicht verhindern.

2000_Bild6Die letzte Saisonpartie, zu dem Zeitpunkt stand der Vizemeistertitel für Schwäbisch Hall schon fest

Damit wurde Aufsteiger Schwäbisch Hall in seiner ersten Bundesligasaison direkt Vizemeister hinter dem souveränen deutschen Meister aus Baden Baden, ein Erfolg mit dem nach dem Aufstieg sicher keiner gerechnet hätte und der größte Erfolg des Haller Schachvereins in seiner fast 80-jährigen Geschichte.
Topscorerin in einer homogenen Mannschaft war Karina Ambartsumova, die in allen Spielen zum Einsatz kam und immer verfügbar war, wenn Not am Mann war. Sie holte 8 Punkte aus 11 Partien. Erwähnenswert auch die 100% von Iva Videnova, die alle ihre vier Partien gewann. Absoluter Star der Mannschaft ist Nino Batsiashvili, die im letzten Jahr fast alles gewann, was zu gewinnen war: sie wurde georgische Meisterin – da Schach in Georgien Nationalsport ist, hat die georgische Meisterschaft einen sehr hohen Stellen wert und ist deutlich stärker besetzt als jede deutsche Meisterschaft. Außerdem wurde sie mit Georgien Teamweltmeisterin und belegte knapp vor ihrer Haller Mannschaftskollegin Alina Kashlinskaya Platz 2 bei der Europameisterschaft. Aktuell kratzt sie mit einer Elozahl von 2499 am Großmeistertitel der Männer.

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